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SwiSCI
Swiss Spinal Cord Injury Cohort Study
Schweizer Kohortenstudie für Menschen mit Rückenmarksverletzungen
Langfristig erwerbstätig sein – Ein hohes Ziel und eine grosse Herausforderung

Langfristig erwerbstätig sein – Ein hohes Ziel und eine grosse Herausforderung

Langfristig erwerbstätig sein – Ein hohes Ziel und eine grosse Herausforderung

Langfristig erwerbstätig sein – Ein hohes Ziel und eine grosse Herausforderung

„Kann ich wieder arbeiten?“ Diese Frage beschäftigt Menschen im erwerbsfähigen Alter als eine der ersten, wenn sie die Diagnose ´Rückenmarksverletzung` erhalten. Wissenschaftler können heute immer genauere Angaben zur Arbeitsmarktsituation der Betroffenen in der Schweiz liefern. Die Resultate werden zunehmend auch in der beruflichen Integration umgesetzt.

Arbeit ist einer der zentralen Lebensbereiche unserer Gesellschaft. Sie sichert nicht nur unseren Lebensunterhalt, sondern verhilft uns auch zu sozialen Kontakten, Anerkennung und einem höheren Selbstwertgefühl. Internationale Studien belegen, dass Arbeit mit einer höheren Lebenszufriedenheit einhergeht und einen wichtigen Einfluss auf unsere Lebensqualität und Gesundheit hat.[1]

Der Eintritt einer Querschnittlähmung stellt die berufliche Situation einer betroffenen Person oftmals komplett auf den Kopf. Viele sind aufgrund ihrer Einschränkungen gezwungen, ihre angestammte Tätigkeit aufzugeben und sich beruflich neu zu orientieren. Dazu gehört das Abschiednehmen vom bisherigen Job, das Akzeptieren einer Neuorientierung, die Auseinandersetzung mit beruflichen Alternativen und die Entwicklung einer neuen beruflichen Identität. Dieser Prozess ist sehr herausfordernd und wird durch Fachleute aus der beruflichen Integration unterstützt. Ein Betroffener berichtet von dieser Phase: “Ich war es gewöhnt, draussen zu arbeiten und konnte mir daher nicht vorstellen, in einem Büro zu sitzen. Die berufliche Integration zeigte mir aber auf, wie ich meinen bisherigen Job mit einer Bürotätigkeit kombinieren kann. Diese Kombination faszinierte mich.“[2]

Arbeiten mit Querschnittlähmung in der Schweiz.

Die Erwerbstätigenquote von Personen mit einer Querschnittlähmung liegt in der Schweiz mit 53% leicht über dem europäischen Durchschnitt von 51%. Dabei ist die Beschäftigungsrate von Männern mit 57% höher als jene von Frauen (43.6%), und von Paraplegikern mit 57% höher als jene von Tetraplegikern (45.5%).[3] Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung liegt die Erwerbstätigenquote von Menschen mit einer Querschnittlähmung rund 30% tiefer.

grafik 2 de

Eine Studie der SPF zeigt, dass mehr als drei Viertel der Betroffenen nach ihrer Erstrehabilitation wieder in den Arbeitsprozess zurückkehren.[4] „Dies ist zwar auf den ersten Blick erfreulich. Betrachtet man aber den weiteren Verlauf, dann scheidet fast ein Viertel dieser Personen frühzeitig wieder aus dem Arbeitsleben aus“, so Urban Schwegler, der Arbeitsmarktexperte der SPF. „Die Betroffenen stehen dann erneut vor der Herausforderung, eine Arbeitsstelle zu finden und kehren oft gar nicht mehr in den Arbeitsprozess zurück“.

Die Erkenntnisse aus der SwiSCI-Studie tragen wesentlich zum besseren Verständnis dieser hohen Ausscheidungsrate bei und ermöglichen so die Definition gezielter Integrationsmassnahmen.

Berufliche Integration

Rückkehr zum bisherigen Arbeitgeber: Der schnelle Weg zurück ins Erwerbsleben

Die Eingliederung beim bisherigen Arbeitgeber wird in der Arbeitsintegration von Personen mit Querschnittlähmung oft als Königsweg angesehen. Sie beschleunigt die Reintegration erheblich und spart den Versicherern dadurch Taggeld- und Umschulungskosten. So dauert es im Durchschnitt lediglich vier Monate bis Betroffene nach der Erstrehabilitation wieder beim bisherigen Arbeitgeber einsteigen. Demgegenüber stehen 25 Monate, wenn die Integration bei einem neuen Arbeitgeber oder über eine Umschulung erfolgt.[5]

Verläufe der Arbeitsintegration von Menschen mit Querschnittlähmung

Verläufe Erwerbstätigkeit DE

Nachhaltige Integration: Zeit nehmen und Alternativen sondieren

Aktuelle Resultate aus der SwiSCI-Studie stellen nun infrage, ob eine schnelle Integration beim bisherigen Arbeitgeber tatsächlich immer der Königsweg ist. Langfristig macht es demnach weder für den späteren Erwerbsstatus noch für die Dauer der Erwerbstätigkeit einen markanten Unterschied, ob die Erstintegration beim bisherigen Arbeitgeber oder bei einem neuen Arbeitgeber erfolgt. Auch bezüglich Einkommen und Lebenszufriedenheit sind langfristig keine wesentlichen Unterschiede festzustellen.[6]

Die Rückkehr zum bisherigen Arbeitgeber mag zwar eine schnellere Rückkehr in den Arbeitsprozess versprechen. Schafft der Arbeitgeber jedoch eine zusätzliche Stelle, dann sollte die Tätigkeit auch mit den Fähigkeiten und Interessen der Person zusammenpassen. Denn passt dieser sogenannte „Job Match“ nicht, dann kann dies zu einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Job führen.

So berichtet Martin von seiner beruflichen Eingliederung: “Ich konnte mich mit keinem anderen Job wirklich identifizieren. Ich sah ständig ein Pult vor mir. Was sonst hätte ich wohl arbeiten können? Man kann da aber nichts herumtragen. Für mich bedeutet Arbeiten aber, Dinge herumzutragen […] und nicht einfach vor einer Tastatur zu sitzen. Das ist nichts für mich“ .[7]

Martin war Maurer, bevor er eine unfallbedingte Tetraplegie erlitt. Sein damaliger Arbeitgeber wollte ihm entgegenkommen, indem er ihm alternativ eine Bürotätigkeit anbot. Martin jedoch lehnte das Angebot ab. Warum? Der Job passte weder zu seinem beruflichen Selbstbild als ehemaliger Handwerker noch zu seinen Fähigkeiten. Die Aussicht darauf, an seinem Arbeitsplatz jeden Tag sehen zu müssen, was er früher leisten konnte, heute aber nicht mehr, erlebte Martin als demotivierend.

Experten raten deshalb zunehmend, genügend Zeit in die berufliche Integration zu investieren: Berufliche Interessen ausloten, Fähigkeiten beurteilen und passende Job-Alternativen evaluieren – „Das braucht Zeit und kann gegebenenfalls Umschulungen und die Suche nach einem neuen Arbeitgeber bedeuten. Eine passende Tätigkeit fördert aber die Nachhaltigkeit der beruflichen Integration“, weiss Urban Schwegler. Auch Betroffene unterstützen diese Sicht: „Wenn mich heute jemand fragen würde, würde ich sagen: Nimm Dir Zeit und schau zuerst alle Möglichkeiten für Dich genau an!”[8]

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Referenzen

[1] Ottomanelli L, Lind L: Review of critical factors related to employment after spinal cord injury: implications for research and vocational services. J Spinal Cord Med. 2009;32(5).
[2] Marti A, Escorpizo R, Schwegler U, Staubli S, Trezzini B: Employment pathways of individuals with spinal cord injury living in Switzerland: A qualitative study. Work. 2017;58(2).
[3] Reinhardt JD, Post MWM, Fekete C, Trezzini B, Brinkhof MWG, on behalf of SwiSCI Study Group: Labor Market Integration of People with Disabilities: Results from the Swiss Spinal Cord Injury Cohort Study. PLOS ONE, 2016; 11(11).
[4, 5, 6] Trezzini B, Schwegler U, Reinhardt JD: Work and wellbeing-related consequences of different return-to-work pathways of persons with spinal cord injury living in Switzerland. Spinal Cord. 2018 Dec;56(12).
[7, 8] Marti A, Escorpizo R, Schwegler U, Staubli S, Trezzini B: Employment pathways of individuals with spinal cord injury living in Switzerland: A qualitative study. Work. 2017;58(2).