Auf Anhieb die passende Therapie finden
Interview mit Jivko Stoyanov über das Potential und die Herausforderungen in der personalisierten Medizin
Herr Stoyanov, auch in der Vergangenheit berücksichtigten Ärztinnen und Therapeuten bereits Faktoren wie das Alter, Geschlecht, mögliche Wechselwirkungen mit Medikamenten oder die Familiensituation ihrer Patienten. Wo sehen Sie die Chancen der personalisierten Medizin für Menschen mit Querschnittlähmung?
Neu ist die Technologie, mit der wir die molekulare Ebene im Körper analysieren können, beispielsweise genetische Veranlagungen, Stoffwechselvorgänge oder die Zusammensetzung von Mikroorganismen. Mit diesem Wissen können wir immer besser feststellen, ob eine Person auf ein Medikament ansprechen wird und ob es starke Nebenwirkungen verursachen wird. Angewendet wird dies etwa bei Blutverdünnern: Manche Medikamente wirken bei Personen mit einer bestimmten genetischen Anlage nicht. Anstatt verschiedene Medikamente auszuprobieren, können Ärztinnen mit dem neuen Wissen nun gleich das passende verschreiben. Dies hilft auch Menschen mit Querschnittlähmung nach einer Operation: Erhalten sie das richtige Medikament, haben sie ein geringeres Risiko für einen Schlaganfall.
Welche Risiken oder Herausforderungen birgt die personalisierte Medizin?
Wenn Patienten mittels personalisierter Medizin behandelt werden, dann haben sie geringere gesundheitliche Risiken als vorher: Weniger Nebenwirkungen und gleichzeitig einen hohen Nutzen. Eine Herausforderung besteht jedoch für die psychische Gesundheit: Erfahre ich beispielsweise, dass ich ein sehr hohes Risiko für Magenkrebs habe, dann kann ich zwar präventiv aktiv werden, stehe aber psychisch plötzlich immens unter Druck. Oder ich erfahre, dass ich eine seltene Erkrankung habe und keines der verfügbaren Medikamente helfen wird. Das ist für Betroffene eine riesige Belastung. Alle Beteiligten müssen noch dazulernen, wie mit solchen Situationen umzugehen ist.
Eine weitere Herausforderung ist der Datenschutz. Die personalisierte Medizin produziert sehr viele Daten und es ist immens wichtig, diese vor dem Zugriff von Dritten, wie etwa Firmen oder Versicherungen zu schützen.
Was hat die SwiSCI Biobank für Vorteile gegenüber anderen Datensammlungen im Rahmen von wissenschaftlichen Studien?
Ein grosser Vorteil der Biobank ist, dass wir eine Probe in viele kleine "Pröbli" aufteilen können. Diese nutzen wir dann für ganz unterschiedliche Forschungsfragestellungen, ohne dass wir unsere Probanden nochmals um eine Probe bitten müssen. Bei den meisten anderen Studien ist das Gegenteil der Fall: Hier werden Betroffene immer wieder neu für eine Teilnahme angefragt.
Wir können die biologischen Proben tiefgekühlt jahrelang lagern. Wenn sich im Laufe der Zeit neue Technologien entwickeln, z.B. ein Messinstrument für Blutwerte, dann können wir diese auf den gelagerten Proben direkt anwenden.
Ein weiterer Vorteil ist, dass wir die Proben postalisch versenden können. Verfügt ein externes Forschungslabor beispielsweise über genauere Messgeräte, dann können wir die Proben zum Analysieren dorthin schicken.
Wir stellen Forschenden mit der Biobank eine Datenquelle zur Verfügung, die grundlegende Erkenntnisse zu vielen Fragestellungen ermöglicht und dabei immer präziser auf die körperlichen Prozesse bei einer Querschnittlähmung eingeht. Aktuell forschen wir beispielsweise an Alternativen zur Antibiotika-Therapie bei Harnwegsinfektionen – eine wichtige Studie, da viele Betroffene bereits resistent gegen mehrere Antibiotika sind. Von Studien wie dieser werden viele Menschen mit einer Querschnittlähmung profitieren.
Jivko Stoyanov
Prof. Dr., Leiter der Biobank an der SPF Nottwil