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SwiSCI
Swiss Spinal Cord Injury Cohort Study
Schweizer Kohortenstudie für Menschen mit Rückenmarksverletzungen
„Einen riesigen Schritt vorwärts“

„Einen riesigen Schritt vorwärts“

„Einen riesigen Schritt vorwärts“

„Einen riesigen Schritt vorwärts“

Interview mit Prof. Dr. Thomas Kessler, Initiator und Leiter des Forschungsprojektes zur elektrischen Stimulation bei Blasenfunktionsstörungen

Herr Kessler, falls Ihre Studie zeigt, dass man die Blasenfunktion bei Rückenmarksverletzten durch Neuromodulation weitgehend erhalten kann, welche Bedeutung hätte dies zukünftig für Betroffene?

Blasenfunktionsstörungen gehören zu den wichtigsten Problemen mit denen Patienten mit Rückenmarksverletzung zu kämpfen haben. Oft führen Blasenfunktionsstörungen infolge Rückenmarksverletzung zu einer starken Einschränkung der Lebensqualität und zu einer Gefährdung der Nierenfunktion, so dass eine lebenslange urologische Betreuung und meist auch Therapie nötig ist. Wenn wir diese Problematik verbessern können, dann haben wir für unsere Patienten einen riesigen Schritt vorwärts gemacht!

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Spüren Patienten die elektrische Stimulation der Nerven? Ist es schmerzhaft?

Die elektrische Stimulation liegt unterhalb der Wahrnehmungsschwelle, das heisst sie wird von den Patienten nicht gespürt und ist folglich auch nicht schmerzhaft.

Warum birgt das Katheterisieren ein relativ hohes Risiko, einen Blaseninfekt zu entwickeln, wie Resultate der SwiSCI Studie gezeigt haben? Was könnten Gründe sein? Wie liesse sich dieses Risiko verringern?

Beim Katheterisieren wird Fremdmaterial in den Körper eingebracht. Dies führt im Vergleich zur «normalen» restharn-freien Harnblasenentleerung durch die Harnröhre zu einem erhöhten Blaseninfekt-Risiko. Durch das Fremdmaterial werden Bakterien in den Körper eingeführt, die einen Infekt verursachen können. Allerdings ist festzuhalten, dass hohe Restharnmengen ein noch höheres Blaseninfektions-Risiko haben, so dass das Katheterisieren letztlich das kleinere «Übel» ist. Wenn immer möglich, sollte der intermittierende Selbstkatheterismus dem Dauerkatheterismus vorgezogen werden. Beim intermittierenden Selbstkatheterismus ist das Fremdmaterial weniger lang im Körper. Dadurch ist das Blaseninfektions-Risiko im Vergleich zum Dauerkatheterismus (hier befindet sich der Katheter die ganze Zeit im Körper) deutlich niedriger. Zur Minimierung des Blaseninfekt-Risikos sollte eine «normale» restharn-freie Harnblasenentleerung durch die Harnröhre angestrebt werden.

Was sind die wichtigsten Behandlungsschritte bei Harnwegsinfektionen? Unter welchen Voraussetzungen ist der Einsatz von Antibiotika sinnvoll?

Idealerweise sollten bei der Behandlung einer Harnwegsinfektion nur Antibiotika eingesetzt werden, welche die Bakterien auch wirklich abtöten können. So sollte vor einer antibiotischen Therapie eine Urinkultur zur Bestimmung des Bakterien-Resistenz-Spektrums erfolgen. Bei «blinder» antibiotischer Therapie läuft man Gefahr, das falsche Antibiotikum zu wählen, was zu einer Resistenz auf das entsprechende Antibiotikum führen kann. Bei den meisten Patienten, die den intermittierenden Selbstkatheterismus durchführen oder die Blase durch einen Dauerkatheter entleeren, finden sich bei der Urinuntersuchung Bakterien in der Harnblase. Solange diese Bakterien keine Beschwerden verursachen, sollte keine antibiotische Therapie erfolgen und wegen fehlender therapeutischer Konsequenz auch keine Urinuntersuchung durchgeführt werden.

Lassen sich Blaseninfekte vermeiden, wenn vorbeugende Massnahmen konsequent umgesetzt werden, wie zum Beispiel: eine rechtzeitige Entleerung der Blase, Einhaltung von Hygienemassnahmen, genügend trinken?

Teilweise lassen sich Blaseninfekte vermeiden. Doch es gibt einige Patienten, die machen alles richtig und haben dennoch Blaseninfekte. Andere Personen haben keine Infekte, obwohl sie sich nicht an die empfohlenen vorbeugenden Massnahmen halten. Vieles ist auch heute noch wissenschaftlich unklar und so arbeiten wir in entsprechenden Forschungsprojekten mit Hochdruck daran, Licht ins Dunkle zu bringen.

Viele Querschnittgelähmte wenden auch umstrittene Methoden aus der Alternativmedizin bei Blaseninfekten an, wie zum Beispiel die Homöopathie. Welche Rolle spielen diese Methoden für Betroffene und wie schätzen Sie diese Methoden ein?

Wenn man mit der «Schulmedizin» nicht mehr weiterkommt, können alternativmedizinische Methoden durchaus zum Erfolg führen. So gibt es mittlerweile Hinweise, dass auch die Homöopathie in der Therapie der Harnwegsinfekte künftig eine wichtige Rolle spielen könnte. Andere vielversprechende Therapie-Ansätze sind Harnblasenspülungen zur Verringerung der Bakterienzahl (Dilutions-Effekt) und die Therapie mit Bakteriophagen.

Bei welchen Anzeichen sollten Betroffene zum Arzt gehen, wenn sie vermuten, eine Blaseninfektion zu haben?

Bakterien im Urin sollten ohne Symptome nicht behandelt werden. Bei anderweitig nicht erklärbaren Beschwerden sollte ein Arzt aufgesucht werden. Dazu gehören eine Zunahme der Blasensymptome (häufiges Wasserlösen, Dranggefühl, Urinverlust, Brennen beim Wasserlösen), Blut im Urin, Fieber, Zunahme von Blasen- und Rückenschmerzen oder Zunahme der Spastik. Ein trüber Urin oder eine vermehrte Geruchsbildung des Urins ohne weitere Beschwerden müssen nicht primär ärztlich therapiert werden. Oft können diese Symptome durch eine Erhöhung der Flüssigkeitszufuhr oder Harnblasenspülungen durch die Betroffenen selbst beseitigt werden.

Herr Kessler, herzlichen Dank für dieses Interview!